Vier Bauetappen
Die Tonhalle am See erfuhr vier bauliche Zäsuren, deren Jahreszahlen in der Saison 2021/22 immer wieder als programmatische Leitgedanken aufblitzen. Ein Blick in die bewegte Geschichte des Gebäudes.
1895 – Ein «Kunsttempel» für Zürich
1895 war sie vollendet, die Neue Tonhalle am See. Mit ihr erhielt die Zürcher Bevölkerung einen «bleibenden Kunsttempel», der die Alte Tonhalle (den 1867 eingerichteten Konzertsaal im Kornhaus auf dem Sechseläutenplatz) ersetzte. Das 1868 gegründete Tonhalle-Orchester Zürich zog damit in ein prunkvolles Gebäude um, welches das stolze Selbstverständnis des Zürcher Bürgertums repräsentierte.
Mit Gebäuden wie der Neuen Tonhalle wollte sich Zürich damals zur modernen Grossstadt wandeln. Entsprechend beeindruckend sollte der Konzertbau als Teil der gerade neu entworfenen Quaianlagen von Bürkli (beim heutigen General-Guisan-Quai) sein. Als Architekten engagierte man deshalb die renommierten Wiener Fellner & Helmer, die wenig zuvor auch das Stadttheater Zürich, das heutige Opernhaus, gebaut hatten. Für die Tonhalle entwarfen sie einen noblen Gebäudekomplex, der dem Trocadéro in der Weltstadt Paris u.a. mit zwei hohen Türmen nachempfunden wurde.
Schon bei der Einweihung des Tonhalle-Saals, des Herzstücks des Zürcher Trocadéros, wurde die herausragende Akustik gelobt, die nach wie vor weltbekannt ist. Zum Eröffnungskonzert lud man den verehrten Johannes Brahms ein, der dabei eigene Werke dirigierte – und sich neben anderen Heroen der Musikgeschichte wie Beethoven im Deckengemälde bestaunen konnte.
1939 – Ein modernes Kongresshaus für die Landesausstellung
Zürich war mächtig stolz darauf, die Landesausstellung 1939 auszurichten, die ganz im Zeichen der geistigen Landesverteidigung stand, als Europa in die nächste Katastrophe lief.
Man verpflichtete die Schweizer Architekten Haefeli, Moser, Steiger, um ein modernes Kongresszentrum zu errichten. Dafür riss man das zunehmend als «alt» empfundene Trocadéro ab und ersetzte es durch ein Meisterwerk des modernen Bauens. Den Architekten gelang es, die beiden Tonhalle-Säle in einen Gebäudekomplex zu integrieren, der mit einem erweiterten Verständnis des Funktionalismus überzeugte: In die reine Zweckmässigkeit des Gebäudes flochten sie verschiedene ästhetische und dekorative Elemente ein. So spielte das Gebäude geschickt mit dem Kontrast zwischen Stadt und Natur, etwa mit einem Gartenhof, einem tropischen Wintergarten im Foyer oder einer auf den See weisenden Terrasse.
1985 – Ein Umbau im Zeichen der Erneuerung
In den nicht nur in Zürich turbulenten 1980er-Jahren modernisierte man die Tonhalle im damaligen Zeitstil und griff an verschiedenen Orten in die architektonische Substanz des Gebäudekomplexes ein. Deutlichstes Zeichen dafür war der Panoramasaal, eine mächtige Stahlkonstruktion, die man parallel zum See errichtete.
Auch sah man die Zeit gekommen, die in die Jahre gekommene Orgel von 1872, die bereits von der Alten Tonhalle auf dem Sechseläutenplatz in die Neue Tonhalle transferiert worden war, trotz ihres grossen historischen Werts durch ein neues Instrument zu ersetzen.
2021 – Geschichte und Gegenwart im Dialog
Von 2017 bis 2021 wurde die Tonhalle grundlegend renoviert. Die Zürcher Stimmbevölkerung hatte zuvor die Idee des Neubaus eines Kongresszentrums verworfen, der den Abriss des Baus von Haefeli, Moser, Steiger bedeutet hätte. Damit bekannte sie sich zum grossen und schützenswerten architektonischen Erbe.
Der Arbeitsgemeinschaft von Elisabeth und Martin Boesch, Diener & Diener sowie Conzett Bronzini Partner ist es mit dem Umbau im 21. Jahrhundert gelungen, einen Dialog zwischen Geschichte und Gegenwart zu eröffnen. Die Grosse Tonhalle hat man aufwendig restauriert, indem man sich am Originalzustand von 1895 orientierte und dabei etwa die überwältigenden Farben des opulenten Saals wiederherstellte. Der frisch renovierte Gebäudekomplex erlaubt auch wieder einen direkten Zugang zum See- und Alpenpanorama mit einer grossen Terrasse und einem Restaurant. Auch künstlerisch wird der Austausch zwischen Geschichte und Gegenwart aufgegriffen – mitunter mit einer neuen Orgel im grossen Saal, die sich zugleich für das Repertoire der Eröffnungszeit als auch für zeitgenössische Musik eignet.