Vom Praktikanten zum Solo-Cellisten
Paul Handschke hat die Stelle seines Lehrers Thomas Grossenbacher übernommen und ist nun Solo-Cellist im Tonhalle-Orchester Zürich. Wie ihm der Aufstieg als Jüngster seines Registers in diese grosse Verantwortung gerade einmal 29-jährig gelungen ist, und weshalb er dennoch nichts von seiner Leichtigkeit einzubüssen glaubt.
Erstes Pult der Cellisten: ein charismatisches Duo. Da wird gescherzt und getuschelt, bevor es losgeht, da wird gestrahlt beim Spielen und wortlos kommuniziert, dass es eine Freude ist – man möchte gar nicht wegschauen. Thomas Grossenbacher, der ehemalige Solo-Cellist des Tonhalle-Orchesters Zürich, springt an diesem Donnerstag im Januar nochmals ein, neben ihm hat Paul Handschke Platz genommen, der bald seine Nachfolge antreten wird. Thomas war Pauls Lehrer, bei ihm hat er sein Studium an der Zürcher Hochschule der Künste absolviert. Dass die beiden nun für Thomas’ letzte Konzertreihe als erster Solo-Cellist das erste Pult teilen, ist eine Stabübergabe, die sich zufällig ergeben hat, weil ein Kollege ausgefallen ist. «Eine für mich wunderbare, eine ehrenvolle Fügung», sagt Paul, den Thomas zu sich nach vorne gebeten hat.
Eine Stelle wie diese …
Als Sohn einer Klavierlehrerin und eines Hobbygeigers aufgewachsen, bekam Paul mit fünf Jahren erstmals ein Cello in den Arm. Ein grosses Glück, dass die Cellostimmen in Trios oft die technisch einfachsten sind: Schon mit acht Jahren konnte er mit seinen Eltern musizieren. Als Jüngster von drei Buben am grünen Stadtrand aufgewachsen, verliess er München nur, um in Zürich zu studieren. Die Wahl des Lehrers fiel auf Thomas Grossenbacher, der das Orchester als Solo-Cellist 2020 verlassen hat, um sich noch stärker auf die Lehre zu konzentrieren. «Hier wird Musik gelebt und gefeiert, gerade mit unserem Music Director Paavo Järvi. Eine Stelle wie diese, die kommt so rasch kein zweites Mal», dachte Paul damals bei sich – ihm wie Thomas war klar, dass er sich bewerben würde.
Drei Mal insgesamt hat Paul bei Probespielen hinter dem Vorhang gespielt, oben im Vereinssaal neben der Grossen Tonhalle, im Gebäude, das ihm inzwischen ein Zuhause geworden ist. Drei Mal hat er sich mit vielen anderen auf eine Stelle im Orchester beworben, drei Mal wartete er auf seinen Einsatz, jedes Mal hat er überzeugt. Zuerst bewarb er sich 2015 als Praktikant und wurde gewählt. 2018 erhielt er seine Festanstellung als Tuttist, erneut musste er sich hinter dem Vorhang beweisen, wieder wählte ihn die Jury, bestehend aus seiner Stimmgruppe, den Konzertmeistern und weiteren Musiker*innen.
Der grosse Traum in Griffweite
Und dann, am 4. November 2021, da wartete er wieder, aber nicht mehr hinter dem Vorhang. Es war bereits die dritte Runde in diesem Probespiel um die Nachfolge seines Lehrers, die Finalrunde. Er öffnete die Tür zum Vereinssaal und sah Paavo Järvi mit verschränkten Armen in der ersten Reihe sitzen und lächeln. «Das ist eine Riesenchance, Paul. Pack sie», hat er zu sich gesagt und auf das Glück gesetzt, dass er einen tiefen Ruhepuls und – gut vorbereitet – wenig mit Lampenfieber zu kämpfen hat. Das Repertoire wiederhole sich bei Probespielen, seine Routine sei zwar noch nicht riesig, sein Selbstvertrauen aber nach zusätzlichen Jahren bei einem weiteren renommierten Grossenbacher-Schüler in München, Maximilian Hornung, intakt. Viel habe er gelernt auf dem Instrument seit Abschluss seines Studiums, viel Zeit damit verbracht, sein eigenes Spiel zu beobachten, zu reflektieren, daran zu feilen.
Nun war es also so weit, der grosse Traum in Griffweite. Er hatte sich seit morgens um acht Uhr warmgespielt, um dann um drei Uhr nachmittags festzustellen, dass er müde war, dass die Anspannung ihm zusetzte. Mit dem physischen Stress kam der psychische. Als der letzte Takt verklungen war, war Paul unsicher. Ob es reichen würde? Er war nicht vollends zufrieden mit seiner Leistung. Dann aber ging alles rasant. Eine Umarmung löste die andere ab, eine rasche Nachricht an seine Eltern, an seine Freundin, auch sie Grossenbacher-Schülerin. «Eine unbändige Freude», erinnert sich Paul.
Zu Hause gewachsen
Hätte Paul diese Geschichte geglaubt, wenn sie ihm jemand vor zehn Jahren aus dem Kaffeesatz gelesen hätte? «Nie und nimmer», sagt er. Es brauche dazu viele glückliche Fügungen. Eine für ihn sei der Riesenluxus gewesen, in seiner Orchesterfamilie wachsen zu dürfen, zu wissen: «Hier bin ich daheim. Und hierauf kommt es bei uns an.» Nicht allein Perfektion stehe im Vordergrund: «Sei willens, die Musik zum Klingen zu bringen.» Paavo fördere Charakter und fordere Musikalität. Klar, dass das technische Können und die Stabilität auf dem Instrument vorausgesetzt würden. Die Schwerpunkte seien jedoch nicht überall dieselben. Und jene hier in Zürich wie geschaffen für ihn. Aber die Leidenschaft, das musikalische Miteinander stehen im Vordergrund. Man dürfe nicht nur viel von sich zeigen, man müsse. Ein hohes Risiko einzugehen, das verlange kühle Köpfe. Oder eben ein gewisses Vertrauen. Um Autorität geht es Paul jedenfalls nicht, er weiss, was jeder im Register kann. Seine Leichtigkeit spiele ihm vielleicht zu. Ob diese in Gefahr gerät mit der zunehmenden Verantwortung? Das glaubt Paul nicht. Weil sein Ansatz die Freude ist. Nicht die Perfektion.
In Thomas Grossenbachers Worten: Genuss. Paul sei ein sympathischer, blitzgescheiter Geniesser: «Um so einen schönen Ton wie Paul zu haben, muss man ein Geniesser sein, und um diesen im richtigen Moment blühen zu lassen, muss man blitzgescheit sein.»